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„Wir brauchen dringend ein neues Mindset“

Wir haben den Tech-Investor und Digitalisierungsexperten Frank Thelen befragt und mit ihm über den Stand der Digitalisierung in Deutschland und Europa, die größten Hürden für Innovation und die Zukunft mit den sich rasant weiterentwickelnden neuen Technologien gesprochen. 


Deutschland steht in Sachen Digitalisierung im internationalen Vergleich nicht sonderlich weit vorne. Wo besteht Ihrer Meinung nach der größte Nachholbedarf?

Leider haben wir Digitalisierung nie wirklich ernst genommen. Wir müssen alle analogen Prozesse in der Regierung, in großen Unternehmen und unserem Mittelstand durch digitale ersetzen. Die Corona-Krise hat gezeigt, wie schlecht es in Deutschland um digitale Prozesse steht. Unsere Gesundheitsämter funktionieren noch größtenteils analog - das hat viele Leben gekostet und unsere Wirtschaft wird noch viele Jahre darunter leiden.

Die USA und China geben mittlerweile den Ton an – was machen Deutschland und Europa falsch? Mangelt es uns etwa an Innovationsfähigkeit oder wo liegen die Gründe?

Wir brauchen dringend ein neues Mindset und sollten unsere Einstellung zum Thema Datenschutz und technologischen Fortschritt überdenken. Viele Digitalisierungsprojekte scheitern an Relikten wie der DSGVO und teilweise auch an fehlender Kompetenz. Hier sehe ich auch die Politik in der Verantwortung. In Unternehmen ist das Hauptproblem in meinen Augen, dass die Anreize fehlen, auch mal Risiken einzugehen und innovative Prozesse voranzubringen. Die meisten Führungsetagen deutscher Konzerne sind nur darauf bedacht, keine Fehler zu machen und den nächsten Jahresbonus mitzunehmen. Dafür mache ich nicht die Manager verantwortlich, sondern die deutsche Fehlerkultur. Wir müssen wieder lernen, Chancen und nicht nur Risiken abzuwägen und die richtigen Anreize dafür schaffen, Chancen zu ergreifen.

Was hätte von Seiten der Politik anders, bzw. besser gemacht werden können?

Wir brauchen ein agileres Rechtssystem, das schneller auf neue Technologien und Möglichkeiten reagieren und entsprechende Gesetzesrahmen verabschieden kann, damit die Nutzung dieser Technologien in Deutschland überhaupt erst möglich wird. Stattdessen haben wir nun eine DSGVO, die ausgerechnet unseren deutschen Unternehmen die Nutzung von Daten quasi unmöglich macht, die großen Player aus den USA bleiben hiervon bislang unberührt. Wir müssen lernen, mit Daten umzugehen und Datennutzung auch als Chance zu begreifen, anstatt sie pauschal abzulehnen. Außerdem würde ich mir wünschen, dass unsere Regierung mit gutem Beispiel vorangeht und vormacht, wie Digitalisierung geht. Leider herrschen auch in deutschen Behörden nach wie vor Papierchaos und Aktenwahnsinn.

Was müssen Unternehmen jetzt tun, um nicht den Anschluss zu verlieren?

Wir müssen die Struktur und die Zielsetzung unserer Unternehmen von Grund auf überdenken. Unsere Wirtschaft befindet sich nach wie vor im Wohlstandsschlaf. Wir waren lange Vorreiter entscheidender Industrien und haben uns zu lange auf dieser Position ausgeruht. Jetzt kommen wir in eine Phase technologischer Disruption, in der sämtliche Branchen komplett umgewälzt werden. 2-3% Optimierungen werden nicht mehr reichen, wir brauchen 10xSprünge. Das bedeutet, nicht mehr in Quartalen, sondern in Dekaden zu denken und zu planen und die Quartalszahlen hierbei auch mal außer Acht zu lassen. Besser jetzt mutig und konsequent in die Digitalisierung und in Innovationen investieren, als in ein paar Jahren endgültig den Anschluss verpasst zu haben.

Wie hat sich die Sicht auf die Dinge in puncto Digitalisierung durch die Corona-Krise verändert?

Ich denke, wir haben hier gerade ein Momentum, das wir dringend nutzen sollten. Viele Unternehmen waren darauf angewiesen, ihre Prozesse zu digitalisieren, ein Großteil der Menschen musste plötzlich aufs Homeoffice umstellen. Auch unsere Gesundheitsministerien und unser Land mussten lernen, dass es langfristig ohne digitale Prozesse nicht weitergehen kann. Ich hoffe, wir nutzen diese Erkenntnisse, um jetzt konsequent unser Land und unsere Unternehmen zu digitalisieren.

Nirgendwo wird der Datenschutz so großgeschrieben wie in der EU. Ist das gleichzeitig ein Hemmschuh für Innovationen?

Definitiv. Daten sind das wohl wertvollste Asset unserer Zukunft. Sie ermöglichen Anwendungen wie autonomes Fahren und bessere Verkehrsführung, die unser Leben einfacher, sicherer und effizienter machen, aber auch enorme Entwicklungssprünge in der Medizin: schnellere Medikamentenentwicklung, individualisierte Therapiemöglichkeiten, frühere Diagnosen und Co. können Leben retten. Wir müssen dringend in eine sachliche, faktenbasierte Debatte zur Datennutzung einsteigen, anstatt sie pauschal abzulehnen. Mit den aktuellen Datenschutzgesetzen schaden wir nur den europäischen Unternehmen und stärken die Player aus den USA und China.

Welche Technologien werden die Zukunft bestimmen und wie kann Deutschland wieder den Anschluss finden oder gar zu einem Innovationsvorreiter werden?

Ich spreche hier in meinem Buch 10xDNA von Innovationswellen. Die erste Innovationswelle wurde ausgelöst durch die Entwicklung von vier Technologien: Mikrochips, Internet, Smartphones & Cloud. Daraus entstanden sind Unternehmen und Services, die heute unser Leben bestimmen. Die zweite Welle, die unmittelbar bevorsteht, umfasst Technologien wie Künstliche Intelligenz, 3D-Druck, 5G, Cloud Computing, Roboter, Blockchain, synthetische Biologie und Fortschritte im Bereich grüne Energie. Diese Technologien sind alle in den Laboren bereits fertig entwickelt und stehen kurz vorm Markteintritt. Für die deutsche und europäische Wirtschaft ist es von essentieller Bedeutung, dass wir in mindestens einer dieser Technologiebereiche einen Weltmarktführer aufbauen. Hierfür muss deutlich mehr Kapital in Forschung und Entwicklung fließen, als das heute der Fall ist, und wir brauchen die richtigen Rahmenbedingungen für innovative Tech-Startups. Frankreich macht vor, wie es geht. Deutschland könnte sich ein Beispiel an der Investitionsbereitschaft von Macron in die Startup-Welt nehmen.

Mit der Digitalisierung geht ein gesellschaftlicher Umbruch und Paradigmenwechsel einher. Ein Grund, mit Sorge in die Zukunft zu blicken? Oder Chance für jeden Einzelnen von uns?

Es gab wahrscheinlich noch nie mehr Chancen für jeden Einzelnen von uns und die Chancen waren noch nie so gut verteilt. Sämtliches Wissen der Menschheit ist im Internet für jeden zugänglich und frei verfügbar. Durch unbegrenzte Rechenkapazität und rapid Prototyping hat erstmals jeder die Möglichkeit, Innovationen zu entwickeln - auch ohne große Summen an Startkapital. Entscheidend ist, ob wir diese Chancen für uns nutzen. Es stimmt, wir stehen vor einem gesellschaftlichen Umbruch und wer sich jetzt nicht bewegt, fällt wahrscheinlich zurück. Aber das ist kein Grund, die Digitalisierung als Feind oder Bedrohung anzusehen. Vielmehr sollten wir die vielen Chancen, die sich daraus ergeben, für uns nutzen und unser Land wieder zum Innovationsvorreiter machen. Wenn uns das gelingt, bin ich mir sicher, dass wir als Gesellschaft gestärkt aus dieser Zeit des Umbruchs kommen.

 

 

 

Frank Thelen ist ein europäischer Seriengründer, Technologie-Investor und TV Persönlichkeit. Seit 1994 gründet und leitet er technologie- und design-getriebene Unternehmen. In seiner Rolle als Gründer und CEO von Freigeist Capital konzentriert er sich auf Investitionen in der Frühphase. Seine Produkte haben über 100 Millionen Kunden in über 60 Ländern erreicht. Frank war der erste Investor in Startups wie Lilium Aviation, Wunderlist, Xentral, Ankerkraut und YFood. 2018 veröffentlichte er mit 42 Jahren seine Autobiografie „Startup-DNA“, 2020 folgte “10xDNA”.

Tech-Investor und Digitalisierungsexperten Frank Thelen

„Wir müssen wieder lernen, Chancen und nicht nur Risiken abzuwägen und die richtigen Anreize dafür schaffen, Chancen zu ergreifen“

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